Blinder Fleck

von Helen —

Ich wusste nicht wirklich, wessen Schuld es war:

Meine eigene, da ich meinen Sohn alleine spielen gelassen hatte, mit den anderen Kindern und Erwachsenen auf der Geburtstagsfeier, als ich kurz auf die Toilette musste?

Anton’s, weil er nicht dort blieb wo ich ihn gelassen hatte, wo er doch immerhin schon fast 9 Monate alt war?

Die der anderen Eltern, die nicht halfen? Immerhin waren wir auf einem Kindergeburtstag auf dem wir alle wegen einer Freundin waren, und wir hatten uns fast alle schon unterhalten und man könnte sagen wir waren Freunde.

Über das was passiert war, habe ich mich sehr geärgert – bis ich feststellte, dass es wegen eines „Blinden Flecks“ passieren konnte.

Was ich mit „Blindem Fleck“ meine: Es gibt Situationen, in denen Menschen Offensichtliches nicht wahrnehmen, während sie auf etwas achten, was ihnen stärker verbunden ist. Beispielsweise sieht eine Mutter nicht das fremde Kind in unmittelbarer Nähe, das Unterstützung braucht. Gleichzeitig achtet dieselbe Mutter sehr gut auf ihr eigenes Kind am gleichen Ort.

Ich bin keine Wissenschaftlerin, daher entgehen mir vermutlich tiefere Hintergründe. Trotzdem möchte ich diese Geschichte mit anderen Eltern teilen. Ich nenne es einen „Zwischenfall“, denn es passiert selten. Mir ist es nur einmal so gegangen, während ich sehr viele andere Male sehr gute Erlebnisse hatte. Aber es kommt vor.Blinden Flecks

Folgendes war passiert:

Anton und ich waren auf einem Kindergeburtstag eines einjährigen Spielfreundes eingeladen.

Ich fütterte Anton in einer Ecke des Geburtstagszimmers. Der Raum was wunderschön im Montessori-Konzept für Babys eingerichtet. Eine andere Mutter gesellte sich zu uns mit ihrer anderthalb Monate älteren Tochter. Das Mädchen spielte auf dem Boden vor ihr, und wir Mütter unterhielten uns über dies und das.

Anton und ich mussten früher als geplant gehen. Ich wickelte Anton frisch neben der Spielecke gleich beim Flur. Er beschäftigte sich mit einem Spielzeug, und ich brachte die benutzte Windel weg. Ich schaute wieder nach ihm, und er war immer noch ganz in das Spielzeug vertieft. Zwei andere Kleinkinder und drei Erwachsene waren in den Nähe. Die gleiche Mutter, mit der ich eben gesprochen hatte und ein Paar. Also dachte ich, könne ich kurz auf die Toilette gehen. Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugemacht, meinte ich Anton zu hören, und ich ging schnell zurück. Dort war Anton gerade dabei sich an einem Regal hoch zu ziehen.

Dann konnte ich meinen Augen nicht trauen, was ich anschließend sah! Die Mutter nahm ihre eigene Tochter vor dort weg, wo Anton und ein anderes Baby spielten und drehte sich zu dem Paar um sich zu unterhalten. Anton fiel um. Er landete mit dem Kopf auf dem Boden, ganz in der Nähe der Räder des kleinen Spielwagens, den ein anderes Kind vor sich her schob. Er fing an zu weinen. Die drei Eltern unterhielten sich weiter, und ich rannte aus dem Flur zurück zu Anton, hob ihn auf. Es ging ihm gut. Ich sagte nichts, drehte mich um und zog uns beide an zum gehen.

Einmal erzählte mir eine Freundin eine Geschichte, bevor Anton auf die Welt kam. Auf ihrer Arbeit weinte ein kleiner Junge in einer Ecke. Gleich daneben kümmerte sich eine Mutter um ihre eigene Tochter. Meine Freundin ging zu dem weinenden Jungen, gab ihm einen Becher Wasser und beruhigte ihn, bis sein Vater zurück kam. Meine Freundin sagte mir, sie sei sehr über das Verhalten der anderen Mutter überrascht gewesen, die sich nur um ihr eigenes Kind kümmerte und den weinenden Jungen scheinbar übersehen hatte.

Damals dachte ich nur, es sei ein wenig merkwürdig.